In Realexperiment B wird das Potenzial lokaler Wärmequellen wie Solarthermie, Abwasserwärme, Geothermie und Bioabfälle für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung ermittelt. In diesem Zusammenhang werden die Treiber der klimaneutralen Wärmeversorgung und Hemmnisse unter Abwägung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte sowie politischer, technischer und wirtschaftlicher Interessen der Akteure identifiziert.
Aufgrund des hohen Wärmebedarfs stellt die Dekarbonisierung und der Ausbau der Fernwärme eine große Herausforderung auf dem Weg zur Klimaneutralität Reutlingens dar.
Kontakt:
Christine Widmann
Hochschule Reutlingen
Komponenten des Realexperimentes B
Die Untersuchungen zum stromoptimierten BHKW haben gezeigt, dass das Verhältnis zwischen Wärme- und Strombedarf einer Liegenschaft hohen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit einer stromoptimierten KWK-Anlage hat. In einer späteren Untersuchung hat sich die Kombination aus BHKW und Wärmepumpe als vielversprechende Kombination für den Gebäudebestand gezeigt. Dies zeigen auch weitere Untersuchungen zu hybriden Wärmepumpensystemen. So zeigt sich bei Analysen von Bestandsgebäuden mit hohen Vorlauftemperaturen, dass bei entsprechender Heizkurve eine Wärmepumpe auch im Bestand einen Großteil der Wärme decken kann. Werden dann noch Sanierungsmaßnahmen nachgezogen, kann der bestehende Bestandskessel, abgestellt werden. Somit ist die Ergänzung eines Bestandskessels mit einer Wärmepumpe zu einem hybriden System ein gangbarer Weg zur schnellen Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, wenn Sanierungsmaßnahmen nicht sofort umgesetzt werden können.
Für die Wärmenutzung aus dem Abwasser konnte für das innerstädtische Wärmenetz ein hohes Potenzial am Auslauf einer Kläranlage sowie ein beachtenswertes Potenzial in einem Sammler ermittelt werden. Im Gegensatz dazu konnte für das zweite große Wärmenetz in Reutlingen kein nennenswertes Potenzial für die Abwasserwärme ermittelt werden. Dies zeigt, dass auch im verdichteten städtischen Raum das Abwasserwärmepotenzial sehr unterschiedlich sein kann, und die Abwasserwärme nicht zwangsweise ein Baustein für die Dekarbonisierung der Wärmenetze sein wird. Dort wo dieses Potenzial vorhanden ist, sind zahlreiche Hemmnisse zu überwinden. Ein zentraler Punkt sind die unterschiedlichen Interessen und Handlungsspielräume der beteiligten Akteure. Zentral ist daher, die erforderlichen Akteure, neben den Wärmeversorgern und Entwässerungsbetrieben z.B. auch das Stadtplanungsamt, schon von Beginn an in die Abwasserwärmenutzung mit einzubeziehen. Treibend haben sich neue gesetzliche Anforderungen sowie entsprechende Fördermittel auf die Anbahnung der Abwasserwärmenutzung ausgewirkt.
Zur Dekarbonisierung der Fernwärmenetze in Reutlingen bestehen grundsätzlich unterschiedliche Optionen, wobei eine Dekarbonisierung der Fernwärme nur durch die Nutzung mehrerer regenerativer Potenziale möglich ist. Am Beispiel des Fernwärmenetzes Orschel-Hagen wurden im ersten Schritt Szenarienrechnungen für unterschiedliche Technologiemixe erstellt sowie die Entwicklung des Wärmebedarfs simuliert. Für die Abwasserwärmenutzung wurde im Mai 2022 eine Abwassermessung durchgeführt, aus welcher nur ein geringes Potenzial abgeleitet wurde. Für Geothermie und Solarthermie wurden grob mögliche Flächen bestimmt, die anschließend auf Eignung geprüft wurden. Hier wurden zahlreiche Hemmnisse zur Nutzung der Flächen für die Wärmeversorgung festgestellt: Mögliche Flächen erfordern räumliche Nähe zum Wärmenetz, um Kosten und Wärmeverluste gering zu halten. Des Weiteren widersprechen sich oft Umweltschutz und Erschließung von erneuerbarer Wärme in Form von Biotopen oder Streuobstwiesen. Darüber hinaus sind zahlreiche Flächen durch das Heilquellenschutzgebiet ungeeignet für die Geothermienutzung bzw. könnten nur geringe Bohrtiefen umgesetzt werden.
Mit dem Ziel der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung sollen ungenutzte Wärmequellen erschlossen werden. Die Wärme des Abwassers kann mit Wärmepumpen für die Wärmeversorgung genutzt werden. Bisher wurden in Reutlingen keine Projekte zur Abwasserwärmenutzung umgesetzt. Ziel im Reallabor war es, Potenziale zu ermitteln und Projekte zu initiieren. Am Auslauf des Klärwerks West besteht ein großes Potenzial für die Nutzung von Abwasserwärme. Die Potenzialanalyse ergab, dass durch die Nutzung der Abwärme am Klärwerk in Verbindung mit einer Großwärmepumpe bis zu 60 % des aktuellen Wärmebedarfs im Fernwärmenetz durch Abwasserwärme gedeckt werden könnte. So soll Planung und Bau der Anlage zur Wärmeauskopplung in Abstimmung mit den Planungen zur 4. Reinigungsstufe erfolgen. Ebenso wie die Trassensuche zur Anbindung der Abwasserwärmequelle am Klärwerk zur Wärmezentrale des Fernwärmenetzes Abstimmungen erfordert. Inzwischen erfolgte eine von den Stadtwerken in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie sowohl am Klärwerk als auch an einem großen Hauptsammler. Beide Wärmequellen sollen in den Transformationsplan zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung aufgenommen werden. Darüber hinaus wird auch die Wärmenutzung am zweiten Klärwerk sowie an einem weiteren Sammler angedacht. Die Vernetzung der Akteure, der steigende öffentliche Druck zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung, steigende Energiepreise für konventionelle Energiequellen und gute Förderbedingungen unter anderem durch die BEW-Förderung treiben die Nutzung der Abwasserwärme in Reutlingen an und führen dazu, dass Hemmnisse, wie unklare rechtliche Rahmenbedingungen in Abstimmung mit der jeweiligen Rechtsabteilungen angegangen werden.
Mit dem Ziel der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung im Bestand wird untersucht, inwieweit bestehende Erdgasheizungen durch hybride Wärmepumpensysteme ersetzt werden können. Dafür soll die Wärmepumpe die Grundlast der Wärmeversorgung decken und ein zusätzlicher Wärmeerzeuger die Spitzenlast übernehmen und die erforderliche Temperatur bereitstellen. Dieser zusätzliche Wärmeerzeuger wird in der Untersuchung variiert, auch um die geeignetste Variation für das jeweilige Untersuchungsobjekt zu ermitteln. Als zusätzliche Wärmeerzeuger sollen als Varianten Biomassekessel, Erdgaskessel, elektrischer Heizstab und ein BHKW untersucht werden. Nach der Erstellung des Berechnungstools für hybride Wärmepumpensysteme konnte für eine städtische Liegenschaft bereits Berechnungen erstellt werden, unter welchen Randbedingungen die Wärmepumpe mindestens 65% des Wärmebedarfs bereitstellen kann und wie die Wärmepumpe dimensioniert werden sollte. Diese Ergebnisse sind dann in die Ausschreibung durch ein externes Ingenieurbüro eingeflossen. Eine Erkenntnis dieser Arbeit ist die notwendige Betrachtung des Trinkwarmwasserbedarfs. Durch die erforderlichen hohen Temperaturen für die hygienische Warmwasserbereitung und den verhältnismäßig geringen Verbrauch in öffentlichen Gebäuden, hier konnte in einem Kindergarten ein Verbrauch von weniger als 5 % des Gesamtwärmeverbrauchs ermittelt werden, wird die Prüfung einer dezentralen Trinkwarmwasserversorgung empfohlen um Bereitstellungs- und Verteilverluste zu minimieren.