Das Handeln von Mitarbeitenden und Führungskräften in den Organisationen des Stadtkonzerns Reutlingen stellt eine zentrale Dimension im Transformationsprozess hin zur Klimaneutralität dar. Das Realexperiment E wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, wirksame Maßnahmen und Strategien zur Institutionalisierung der Klimaneutralität im alltäglichen Handeln von Mitarbeitenden und Führungskräften zu erarbeiten. Im Rahmen eines Pilotprozesses sollte zunächst eine umfassende Analyse des Alltagshandelns in den Organisationen vorgenommen werden, um anschließend im Zuge eines partizipativen Prozesses geeignete Maßnahmen zu identifizieren, umzusetzen und zu reflektieren. Die Ergebnisse aus dem Pilotprozess sollten für den Gesamtkonzern sowie weitere vergleichbare Kontexte außerhalb Reutlingens nutzbar gemacht werden. Im Grundsatz wurde der Anspruch formuliert, das Handeln von Führungskräften und Mitarbeitenden dabei nicht isoliert, sondern im Kontext sozialer und organisationaler Rahmenbedingungen zu betrachten.
Kontakt:
Lisa Schwarz
Hochschule Reutlingen
Komponenten des Realexperimentes E
Die Veränderung alltäglichen Handelns im Betrieb stellt auf dem Weg zu einem klimaneutralen Stadtkonzern eine Notwendigkeit dar. Das tägliche Handeln wird nicht nur durch psychologische Faktoren, sondern insbesondere durch organisationale Faktoren bestimmt.
Ziel in Realexperiment E war es also zunächst den Status Quo im Hinblick auf die Wahrnehmung angemessenen Alltagshandelns bezogen auf den Umgang mit Ressourcen und Energie im Stadtkonzern Reutlingen zu erheben, um anschließend den Veränderungsbedarf und das entsprechende Potenzial aus Sicht unterschiedlicher organisationaler Akteure zu identifizieren. Passend zum Bedarf und Potenzial wurden tragfähige Handlungs- und Interventionsmittel kooperativ entwickelt, getestet und bei erfolgreicher Testung institutionalisiert.
Zu diesem Zweck wurde ein umfassender partizipativer Pilotprozess mit einem Eigenbetrieb, Amt und einer Tochtergesellschaft (GmbH) aufgesetzt. Aus diesen 3 Organisationseinheiten des Stadtkonzerns wurden freiwillige Teilnehmende rekrutiert, die in drei Arbeitsgruppen zu den Themen Mobilität. Beschaffung und Energie Veränderungspotenziale identifizierten und dazu passende Maßnahmen entwickelten. Beispielsweise entwickelte das Team des Realexperiment E eine E-Mobilität- und Pedelec-Schulung, die in einem Kreis aus Mitarbeitenden des Stadtkonzerns RT getestet und anschließend im städtischen Schulungssystem institutionalisiert wurde.
Zudem wurden Steckerleisten beschafft, die es ermöglichen den gesamten Arbeitsplatz mit einem Knopfdruck vom Stromkreislauf zu trennen.
Um Energie und Ressourcen einzusparen wurden im beteiligten Eigenbetrieb und Amt Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema Papiersparen entwickelt und getestet. Es entstanden Plakate zur Mitarbeitersensibilisierung im Bereich des Papierverbrauchs und u.a. Newsletter-Mails (Design und Inhalte) mit Klimaschutz- und Energiespartipps für Mitarbeitende. Diese Produkte können in Phase 2 des Projekts (ab Juli 2024) im gesamten Stadtkonzern angewandt und damit institutionalisiert werden.
Der gesamte partizipative Pilotprozess wurde während dessen Umsetzung reflektiert, analysiert und stetig auf aktuelle Gegebenheiten angepasst und verbessert. Daraus entstand eine Prozessdokumentation und Sammlung relevanter Rahmenbedingungen sowie Voraussetzungen für den Umsetzungsprozess von Klimaschutzmaßnahmen. Ebenso konnten hilfreiche Kriterien zur Bewertung von Klimaschutzmaßnahmen zusammengestellt werden. So haben die Mitarbeitenden des Stadtkonzerns Reutlingen, die sich mit der Entwicklung von Klimaschutzmaßnahmen befassen, Orientierungen an der Hand, wie ein solcher Entwicklungsprozess ablaufen kann und, was es dabei zu beachten gilt. Zum selben Zweck wurden während der ersten Projektlaufzeit Hemmnisse und Treiber bei der Veränderung des Mitarbeiterverhaltens im Alltag erhoben. Zusammenfassend lassen sich die folgenden Schlussfolgerungen ableiten, wie die Institutionalisierung von Klimaneutralität in einem Stadtkonzern unterstützt und beschleunigt werden kann: Klimaschutzmaßnahmen stehen im natürlichen Wettbewerb gegenüber den Hauptaufgaben oder akuteren Projekten und Aufgaben in den Einzelorganisationen (z. B. Flüchtlingskrise etc.). Die Schaffung dezidierter Budgets für Klimaschutzmaßnahmen für unterschiedliche Bereiche könnte den Stellenwert gegenüber anderen Themen und Projekten erhöhen. Um diesen Stellenwert zu untermauern, wäre es hilfreich, dass die Konzernleitung das Thema Klimaschutz in der Kommunikation anhand handfester Ziele und Strategie intensiviert. Diese Strategie ließe sich u.a. aus einem umfassenden digitalen Monitoring von Energiebedarfsdaten ableiten. Um die Kommunikation der Konzernleitung noch zielgerichteter zu gestalten, sollte unter den Mitarbeitenden erhoben werden, welche Aspekte zu wenig kommuniziert werden und was zukünftig über welche Kommunikationskanäle (Intranet, Newsletter, etc.) stärker vermittelt werden muss.
Die Auswahl der Praxispartner zur Durchführung des Realexperiments erfolgte schon im Zuge der Antragsphase. Dabei ergab sich eine Kooperation mit insgesamt 3 Pilotbetrieben/ -ämtern, die jeweils einer der im Konzern vorhandenen Organisationsformen zuzuordnen sind: Amt für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt (Amt), Stadtentwässerung Reutlingen (Eigenbetrieb) und Stadthalle Reutlingen (GmbH).
Die Maßnahmenidentifikation und -umsetzung erfolgten im Rahmen einer Workshop-Reihe mit ca. 20 Mitarbeitenden aus verschiedenen Abteilungen sowie Führungskräften aus den unterschiedlichen Leitungsebenen. Insgesamt wurden über einen Zeitraum von 1,5 Jahren 5 größere Workshops und ca. 20 Treffen der jeweiligen Kleingruppen durchgeführt. Die Veranstaltungen wurden in einem transdisziplinären Team aus Mitarbeitenden der Hochschule, der Task-Force K&U und der Betriebe/Ämter vorbereitet, moderiert und nachbereitet. Ergänzt wurde der Prozess durch eine sozialwissenschaftliche Begleitforschung.
In den ersten beiden Workshops lag der Fokus zunächst auf der Herstellung eines gemeinsamen Problemverständnisses sowie der Analyse des Status Quo im Alltagshandeln. Dafür gab es Inputs seitens der Hochschule und eines externen Energieberaters mit anschließender Diskussion. Dann wurden zahlreiche Erfahrungen, bisherige Projekte, Ansatzpunkte und Ideen zusammengetragen, dokumentiert und systematisiert. Auf dieser Basis wurden Handlungsziele und eine Vielzahl möglicher Maßnahmen diskutiert. Die so identifizierten Themen/Maßnahmen sollten im dritten Workshop auf eine handhabbare Anzahl und ein bewältigbaren Anspruch reduziert werden. Dafür wurden gemeinsam mit den Teilnehmenden relevante Auswahlkriterien bestimmt und auf die Themen Maßnahmen angewendet. Diese Kriterien waren zum einen die voraussichtliche Umsetzbarkeit innerhalb des Pilotzeitraums (ca. 18 Monate), die Verortung des Themas im eigenen Handlungsbereich (Pilotbetriebe/-amt) und die subjektiv wahrgenommenen Erfolgsaussichten. Im Anschluss wurden entsprechend der identifizierten Handlungsfelder drei Arbeitsgruppen zu den Themenfeldern „Energie und Ressourcen“, „Mobilität“ und „Beschaffung“ gebildet. Für jede Arbeitsgruppe wurden die TOP 3 umzusetzenden Maßnahmen festgehalten. Ziel der Bearbeitung in Kleingruppen war es, die konkrete Umsetzung der Maßnahmen in einem überschaubaren Team möglichst rasch umsetzen zu können.
In der Umsetzungsphase verwalteten sich die Kleingruppen weitestgehend selbst. Während die Teilnahmenden aus „Energie und Ressourcen“ recht schnell in die Umsetzung z.B. beim Thema Sensibilisierung Papiersparen kamen, verzögerte sich die Umsetzung in „Beschaffung“ und „Mobilität“ teils erheblich. Die Hemmnisse waren jedoch sehr unterschiedlich. Teils entpuppten sich Maßnahmen als weniger wirksam heraus als zunächst angenommen, teils war die Umsetzung auf Ebene eines Pilotbetriebes nicht zielführend und hätte direkt stadtweit initiiert werden müssen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Die größeren Workshops 4 und 5 fanden während der Umsetzungsphase statt und ermöglichten die gemeinsame Reflexion des Status Quo in der Umsetzung sowie methodischer Fragen.
Im Anschluss an den Pilotprozess und die Reflexionsphase wurden jene Maßnahmen und Erkenntnisse identifiziert, die sich auf die Ebene des Gesamtkonzerns übertragen lassen. Daraus ergaben sich drei Maßnahmenvorschläge, die für die konzernweite Umsetzung priorisiert wurden: „1: Klimaschutz im Führungshandeln stärken“, „2: Digitalisierung für effizientes und klimafreundliches Arbeiten fördern“ und „3: Kommunikation von Klimathemen verbessern“.
Wie kann bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Konzern Stadt Reutlingen der Aspekt der Klimaneutralität als Beschaffungs- und Vergabekriterium weiter gestärkt werden? In welchen Bereichen sind einheitliche Standards für Klimaneutralität in Beschaffungs- und Vergabeprozessen sinnvoll und praktikabel? Wie sollten Governance-Strukturen und regulatorischer Rahmen gestaltet sein, um Beschaffung und Vergabe klimafreundlicher zu tätigen?
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